Seit einigen Tagen liegt meist eine trübe graue Nebeldecke über unseren Köpfen. Die Berge, auf die wir sonst blicken, sind in einer Nebelsuppe verschwunden. Kaum vorstellbar, dass über dem Nebelmeer die Sonne scheinen soll. Und doch, die lebensspendende Sonne ist da, auch wenn wir sie jetzt nicht sehen können.
Ja, manchmal erwische ich mich selber beim Gedanken, dass diese Wetterlage im Augenblick bedrückend ist. Dann sage ich mir wieder: Hey! Schau, da vorne gibt es ein kleines Fenster und der blaue Himmel lugt hervor. Und da, dieser Busch, in welcher Pracht er sich doch auch bei Nebel zeigt!
Und hier, trotz fehlendendem Sonnenlicht, dieser Sonnenhut zeigt auch jetzt seine wunderbare und strahlende Blüte.
Wenn es die Natur kann, wieso sollen wir Menschen es nicht können? Auch wir sind Teil der Natur und besitzen die Fähigkeit, auch bei widrigen Umständen nett, liebenswürdig und fröhlich zu sein. Die äusseren Umstände zwingen uns nicht dazu, ebenfalls griesgrämig oder depressiv zu sein. Im Gegenteil, der Welt und unserer Umgebung dienen wir mehr, wenn wir unsere innere Sonne nach aussen scheinen lassen, und unsere Mitmenschen dazu einladen, das gleiche zu tun.
An einem sonnigen und warmen Tag fällt es uns leicht, die Lebensfreude zu zelebrieren. Am letzten Oktober-Sonntag im Tessin, wo es regnerisch, neblig und garstig war, machte ich die Erfahrung, dass ein nasser Herbstwald etwas sehr Mystisches an sich hat. Die Sicht war sehr eingeschränkt und die Nebelschwaden zogen an mir vorbei. Es waren sehr wenige Menschen im Wald unterwegs, und so hatte ich die Natur fast für mich alleine. Das Wunderbare daran war, dass ich in diese Stimmung eintauchen konnte und das Gefühl hatte, nicht alleine zu sein. Ich spürte Wesenheiten um mich herum, die freundlich und neugierig waren. Sie freuten sich daran, mit mir diese Stimmung zu teilen. Das macht diese Erfahrung so wundervoll – egal, wie das Wetter ist, alles hat seine Berechtigung und seinen Sinn, es kommt nur darauf an, was wir daraus machen, und wie wir darauf schauen.
Was im Aussen gilt, gilt auch für unser Innenleben. In unseren Leben gibt es neben Sonnenschein auch immer wieder einmal einen Regenguss, einen Sturm oder der Nebel trübt unsere Sicht. Wenn wir annehmen, was jetzt da ist und nicht dagegen ankämpfen, sondern im Fluss des Lebens bleiben, haben wir die Chance, gestärkt aus der Situation hervorzugehen. Gleichzeitig dürfen wir auch das eine und andere Geschenk, oder wir können es auch Erkenntnis nennen, aus einer nebligen oder stürmischen Zeit mitnehmen.
Alle Geschenke des Lebens sind wertvoll. Ich weiss für mich, dass die Geschenke aus stürmischen Zeiten sehr wertvoll und nachhaltig waren und immer noch sind. So wünsche ich uns allen den Mut, ins Nebelmeer einzutauchen, das Gesicht dem Wind entgegenzuhalten und bei Sonnenschein uns von den wärmenden Strahlen berühren und beleben zu lassen.
Mit herbstlichen Grüssen – Béatrice Noreia Ziltener